³ENGINEERING LINGUIST

Kein Text fasst prägnanter, was diese Standbilder von Christian Peter Wilhelm Friedrich Beuth (li.) und Friedrich Wilhelm Christian Carl Ferdinand von Humboldt (re.) vor dem DIN e.V. in der Burggrafenstraße 6 in Berlin für mich verkörpern und was jeher Leitgedanke meiner Arbeit war (und noch immer ist):

Technik & Sprache sind und bleiben eine untrennbare Einheit, auch wenn dem einen oder anderen Techniker das sprachliche Geschick nicht mit in die Wiege gelegt wurde und Naturwissenschaften wie Mathematik, Physik, Chemie und die Ingenieurwissenschaften oft nicht die erste Wahl vieler Geistes- und Sprachwissenschaftler sind.

Friedrich Wilhelm Christian Carl Ferdinand von Humboldt (re.) war u. a. Linguist und Gründer der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, der späteren Humboldt Universität zu Berlin, an der ich mit viel Freude mein Zweitfach Englisch studierte.

Sein Bruder Alexander von Humboldt, dessen Standbild vor dem DIN-Gebäude in der Budapester Straße steht, war Naturforscher, Autor und, wie sein Freund Georg Forster mit dem er Westeuropa bereiste, auch Übersetzer und beherrschte zahlreiche Sprachen. Er formulierte 1799 die wissenschaftliche Erkenntnis und These "Alles ist Wechselwirkung", die er während seiner Amerikareise in seinem Reistagebuch niederschrieb. Diese These wird heute oft auch laienverständlich mit der Formulierung "Alles hängt mit allem zusammen" paraphrasiert und ist sowohl in Horst Köhlers als auch Frank Walter Steinmeiers Reden zu Alexander von Humboldt als Urheber dieser These zu finden.

Alexander von Humboldts Reisebegleiter Georg Forster war ebenfalls Übersetzer, lebte lange Zeit in Mainz und formulierte:

"Wer sich für die ausschließende Wahrheitsquelle ausgibt, ist der Feind des Menschengeschlechts, der die Menschen um ihr einziges Gut, um ihre Moralität, welche sich auf eigene Beurteilung und freien Willen gründet, betrügen will."

"Jede Wiederlegung eines Vorurtheils ist Gewinn für die Wissenschaft; ...“

Christian Peter Wilhelm Friedrich Beuth (li.) war u. a. der Gründer des Preußischen Gewerbeinstituts für die Förderung der Berufsausbildung, aus dessen Nachfolgeinstitutionen im Jahr 1879 die Charlottenburger Technische Hochschule ― heute die Technische Universität Berlin, an der ich am Institut für Berufliche Bildung Lehramt für Fertigungstechnik (TWLAK*/ Berufswissenschaften) studierte ― hervorging. Beuth ist auch der Namensgeber des gleichnamigen Herausgebers der DIN-Normen, des Beuth Verlags.

Zu meinen Professoren am Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb (IWF) der TU Berlin gehörten sowohl Professor em. Dr.-Ing. h.c. mult. Dr.-Ing. E.h. mult. Dr.-Ing. Günter Spur, der 1976 das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik gründete und dieses bis 1997 leitete, als auch sein Nachfolger Prof. Dr. h. c. Dr.-Ing. Eckart Uhlmann, bei denen ich Vorlesungen hörte, Klausuren schrieb und sehr erfolgreich Prüfungen ablegte.

Das IWF wurde im Jahr 1904 von Prof. Georg Schlesinger, dem Begründer der Betriebs- und Produktionswissenschaften, gegründet, das er bis 1933 leitete. Neben seiner Tätigkeit als Hauptkonstukteur in der Ludwig Loewe & Co AG in Berlin Moabit gegründete und leitete Schlesinger hier im Jahr 1900 auch die erste Berliner Werkberufsschule. Er selbst hatte vor seinem Studium eine einjährige Mechanikerlehre absolviert. 1917 wurde er Mitglied im Hauptausschuss des späteren DIN e. V.. Die erste, 1918 vom DIN herausgegebene Norm war die DI-N 1 Kegelstifte (heute EN 22339). Isidor Loewe, der Bruder des Gründers Ludwig Loewe, richtete bei der Ludwig Loewe & Co AG 1901/02 das erste betriebliche Normenbüro Deutschlands ein. Mehr über das Schicksal Georg Schlesingers finden Sie auf den Seiten der TU Berlin.

Im Gehweg vor dem Gebäude des DIN e. V. eingelassene Fliese: Pioniere der modernen Produktions- und Fertigungstechnik legten die ingenieurwissenschaftlichen Grundlagen der Normung, allen voran Georg Schlesinger und Otto Kienzle. Die erste Norm war die DI-Norm 1 Kegelstifte aus dem Jahr 1918, die heutige EN 22339.

Schlesingers Nachfolger wurde sein Schüler Otto Kienzle, der die Grundlagen für Passungssysteme und die späteren ISO- und DIN-Passungssysteme legte. Er ist aber vor allem als großer Systematiker der Fertigungstechnik bekannt und begründete die DIN 8580 "Einteilung der Fertigungsverfahren", eine Norm, ohne deren Kenntnis und deren fachwissenschaftlichen Verständnisses auch Technische Redakteure und Technische Übersetzer nicht auskommen, wenn sie sich den Grundsätzen des "einwandfreien technischen Verhaltens" verpflichtet fühlen.

Nach einer exzellenten Lehrveranstaltung am DIN e. V. bin ich nun auch zertifizierte DIN-Normen-Expertin. Mich hat in dieser Veranstaltung der folgende Grundsatz, der ganz im Sinne der skizzierten (ingenieur)wissenschaftlichen Traditionen der TU Berlin steht und der mich während meiner Ausbildung und Berufsausübung immer getragen hat, besonders angesprochen. In der DIN 820-1:2009-05, die die Grundsätze der Normungsarbeit regelt, heißt es im Abschnitt 8.1:

"Bei ... DIN-Normen besteht eine konkrete Vermutung dafür, dass sie fachgerecht, d. h., dass sie 'anerkannte Regeln der Technik' sind". Weiter heißt es in derselben Norm:

"Normen bilden einen Maßstab für einwandfreies technisches Verhalten; dieser Maßstab ist auch im Rahmen der Rechtsordnung von Bedeutung."

In diesem Sinne habe ich in den vergangenen Jahren meine Dienstleistungen erbracht und auch mein Weiterbildungsangebot ist diesen Grundsätzen verpflichtet. Peter Beuth, Wilhelm von Humboldt, Georg Schlesinger, Otto Kienzle, Günter Spur und viele weitere haben durch ihr Wirken mein Leben geprägt und werden auch in Zukunft noch die Ausbildung und Bildungswege für Generationen in der einen oder anderen Weise beeinflussen.

Katrin Reinhardt - ³Engineering Linguist

B. Sc. Mechanical Engineering | English

Foto links: Die Ludwig-Loewe-Höfe in der Wiebestraße in Berlin Moabit. Prof. Georg Schlesinger wirkte in seinen frühen Jahren in der Ludwig Loewe & Co AG als Hauptkonstrukteur, wo er auch die erste Werkberufsschule Berlins gründete und leitete. In dem abgebildeten, von 1914 - 1917 errichteten Gebäudekomplex befandt sich die Fräs- und Bohrmaschinenfabrik der Ludwig Loewe & Co. AG. An der nach ihm benannten Georg-Schlesinger-Schule in der Kühleweinstraße in Berlin Reinickendorf absolvierte ich im Jahr 1995 mein Schulpraktikum für das Fach Fertigungstechnik.

Foto rechts: Technik-Weiterbildung für Dolmetscher & Übersetzer an technikgeschichtsträchtigen Orten: Teilnehmerinnen meines Mechatronik-Seminars im mechatronischen Labor beim Aufbau und Test elektropneumatischer Steuerungen in den denkmalgeschützten Ludwig-Loewe-Höfen, an jenem Ort, an dem Georg Schlesinger gut 100 Jahre zuvor wirkte. In meinem ehemaligen Büro in der Kaiserin-Augusta-Allee 101 ― gegenüber des Standortteils der Ludwig Loewe & Co AG in der Kaisierin-Augusta-Allee 17-24 gelegen ― führte ich mein erstes Fertigungstechnik-Seminar für Sprachmittler durch.

Quellennachweise:

Fotos: Beuth & Humboldt, Ludwig-Loewe-Höfe und Technik-Weiterbildung Ü.+D.: Katrin Reinhardt, Georg Schlesinger in der Ludwig Loewe & Co. AG: Pressestelle TU Berlin.

Texte: TU Berlin https://www.iwf.tu-berlin.de/fachgebiet_werkzeugmaschinen_und_fertigungstechnik/menue/ueber_uns/geschichte/; Ludwig & Isidor Loewe: https://berlingeschichte.de/berlinaz/indexabz.htm; https://www.berlin.de/landesdenkmalamt/denkmale/liste-karte-datenbank/denkmaldatenbank/daobj.php?obj_dok_nr=09050304; Georg Schlesinger Schule: https://www.gs-schule.de/schulportraet/ueber-georg-schlesinger.html; Wikipedia

*TWLAK: technisch-wissenschaftliche Lehramtskandidatin